Powertaktik

„Woran es den Vereinen fehlt,“, sagt Ralph Rangnick (Spiegel 2006), „ist eine Philosophie und die Bereitschaft, ihr alles unterzuordnen.“  Powerfußball ist diese Philosophie.  Man bewundert, zu Recht, den englischen Hochgeschwindigkeitsfußball – Ballannahme, Ballverarbeitung, und Ballweitergabe.  Nur im Powerfußball wird der mittlere Schritt, Ballverarbeitung, ausgelassen, denn der drosselt das Tempo und Ballannahme und Ballweitergabe werden einige Hundert Tausand Mal geübt, nicht nur ein paar Tausend Mal.  Die gegenwärtigen Einsichten sind lobenswert, nur machen ein paar lose Teile noch kein Ganzes. 

Man erwähnt im Spiegelartikel den Hochgeschwindigkeitskick. Das ist im Powerfußball der Chi-Kick, bisher vom keinem Fußballer angewendet.  Es werden Spielbeschleuniger erwähnt.  Im Powerfußball ist jeder Spieler, auch der Torwart, ein Spielbeschleuniger, der den Ball mit nur einer Berührung perfekt auf den Fuß desjenigen Mitspielers, der die beste Chance hat, den Ball seinerseits optimal weiterzugeben.  Auch erwähnt wird das „Kerngeschäft“, ein 30x40 Meter großes Rechteck, das sich über das Spielfeld verschiebt und in dem der Ball blitzschnell zirkuliert, per vertikales Direktspiel.  Diese Konzeption ist ein großer Fortschritt im Denken.  Nur ist das Rechteck im Powerfußball nur eine Vorstufe (ellipsenförmige Angriffe) zur organischen Taktik.

Organische Taktik

Eine organische Taktik braucht eigentlich keine Struktur – wenn man sie erst einmal beherrscht.  Bis dahin helfen ein paar einfache Angriffs- und Verteidigungsformationen, die den Spielern in den ersten Jahren etwas Sicherheit geben.  Eine organische Taktik ist auf Raum und Zeit aufgebaut.  Räume werden auf- und zugemacht.  Zeit, heißt, zu jeder Zeit „richtig“ zu stehen.  Richtig heißt, zu jeder Zeit dort zu stehen, wo man optimal eingesetzt ist.  Optimal zum Ganzen, zu allen Positionen auf dem Platz.

Beim Angriff werden Räume geschlossen.  Die Abwehrkette, die Räume abdeckt, muss räumliche und zeitlich optimal stehen.  Ziel ist, den Gegner am Torschuss zu hindern.  Man steht also immer so, dass das nicht geschehen kann.  Die Angriffsformation, die sich wie eine Welle nach vorn bewegt, optimiert sich, um Räume zu öffnen.  Ziel ist, zum Torschuss zu kommen.  Je schneller die Angriffs- und Abwehrformationen sich formen, desto effektiver werden sie sein.  Raum und Zeit sind also von einander abhängig, besser gesagt, sie sind miteinander verzahnt.

Angriffsformationen

Beim Angriff verschafft man sich Räume, um zum Torschuss zu kommen.  Man öffnet also keinen Raum, sondern Räume.  Jeder Spieler, der vorn steht, ist in der Pflicht, sich so viel freien Raum zu schaffen, dass er zum Torschuss kommen kann.  Das heißt jedoch nicht, dass zwischen ihm und dem gegnerischen Verteidiger mehrere Meter freien Raum sein muss.  Es genügt, sagen wir, rechts neben dem Verteidiger zu stehen, so dass der Steilpass nach rechts erfolgen kann, und der eigene Spieler aufs Tor schießen kann.  Natürlich muss der eigene Spieler den Pass erwarten; der Gegenspieler muss jedoch überrascht sein, und nicht gleich reagieren können, so dass der eigene Spieler zum Torschuss kommt.

Ellipse

Das Obige ist natürlich nur eine Angriffsvariante.  Man stellt sich normalerweise nicht einfach neben den Gegenspieler.  Alle Spieler rotieren laufend, ellipsenförmig, (Ellipsenförmige Angriffe) nach rechts, dann nach links, dann gar nicht – eben immer so, dass der Gegner nicht weiß, was sein Gegenspieler als nächstes macht.  Rotierende Angriffe und Täuschungen gehören also zusammen.  Nie spielt der eigenen Spieler den Ball so, dass der Gegner weiß, wo er hingeht.  Nur der eigene Spieler ahnt es und ist hoch konzentriert.

Zickzack

In der Zickzack Angriffsvariante, die auch in der Verteidigung angewendet wird (Sichel Verteidigung) geht der Ball hin und her, zwischen den eigenen Spielern.  Ziel ist, den Gegner erst einmal zu verwirren, ihn Hin-und-her-Zujagen.  Ziel ist aber auch, nach einer Öffnung zu spähen, die vom eigenen Spieler zum Torschuss ausgenutzt werden kann.  Dabei wird die Zickzack Variante ausgedehnt, quer über das ganze Spielfeld, um die Abwehr auseinander zu ziehen. 

Dabei ist zu beachten, dass jeder Spieler es ja auch täglich lernt, aus 30 Metern aus allen Winkeln Tore zu schießen.  Es sollte also keine großen Einfluss spielen, ob man direkt vor dem Tor oder von der Seite, aus spitzen Winkel, zum Einschuss kommt, so lange die Distanz ungefähr 30 Meter beträgt.

Rochieren

Eine andere Angriffsvariante ist Rochieren.  Die Hälfte des Teams rochiert vor dem gegnerischen Abwehrspielen, die andere Hälfte steht 3 – 5 dahinter und hält den Ball, bis sich eine gute Schussmöglichkeit ergibt.  Rochieren heißt, laufend Position wechseln.  Ein einfaches Rochieren bedeutet, der Angreifer wechselt laufend seine Position vor dem Verteidiger.  Einmal steht er links von ihm, einmal rechts, dann wieder umgekehrt.  Jedes Mal rochiert er so, dass er in Schussposition steht.  Wenn also die ganze Angriffsreihe, 5 Spieler, vorne rochieren, ergeben sich für die 5 Ballverteiler zahlreiche Möglichkeiten, einen Torschuss einzuleiten. 

Ein doppeltes Rochieren bedeutet, dass jeder Angreifer zwischen zwei Spieler rotiert.  Ein dreifaches Rochieren läuft über drei Spieler.  Sie flitzen also links und rechts hin und her, in einem scheinbar (für den Gegner) wirren Durcheinander, immer auf der Hut vor dem Steilpass.  Keine gegnerische Abwehr ist einer gekonnten Rochiertaktik gewachsen.

Andere Angriffsmuster

Dies sind nur einige Angriffsmuster.  Sie werden anfänglich benötigt, um dem Angriff etwas Struktur zu geben.  Während der Hunderte von täglichen Seminaren werden zweifellos andere Varianten vorgeschlagen und die vorgeschlagenen Muster verfeinert.  Spieler werden sich auch Spitznamen geben, die sie laufend verändern, damit der Gegner nicht weiß, wer gemeint ist.  Wird ein Spitznahme ausgerufen, weiß der Betroffene, dass er den Pass zum Torschuss bekommen wird.  Alle anderen Spieler werden dann sofort laut schreien und so tun, als ob sie gemeint sind.  Die verursachte Unruhe gibt dem Erwählten eine halbe oder gar eine ganze Sekunde Vorsprung vor gegnerischen Reaktionen.

Wenn der Powerfußball einmal ganz beherrscht ist – nach 3 bis 5 Jahren – werden keine Muster mehr gebraucht.  Die Mannschaft wird sich dann so gut kennen, dass sie flüssig und perfekt, wie im Traum, spielt.

Verteidigung

Bei der Verteidigung macht man Räume zu, um dem Gegner am Torschuss zu hindern.  Zu verteidigen ist viel einfacher als anzugreifen.  Man muss nur aufmerksam sein, so dass kein Gegner in den 30 Meterraum eindringen und zum Torschuss kommen kann.  Tänzeln, rochieren, täuschen und spitzeln sind das Arsenal der Verteidigungswaffen.  Man stellt Fallen, um den Gegner zu verlocken, Fehler zu machen, damit man den Ball wegspitzeln kann.

Zwei Mann am Ball

Der Gegner, der den Ball hat, wird immer von zwei Spielern bewacht.  Sie stehen hinter einander.  Sie greifen nie an, sondern tänzeln vor dem Angreifer hin und her und versuchen den Ball wegzuspitzeln, oder versuchen den Gegner zum fehlerhaften Abspiel zu verlocken.  Greifen sie an, können sie leicht umspielt werden.  Halten sie jedoch 2 oder (bei gefährlichen Angreifern) 3 Meter Abstand, kommt der Gegner nicht durch und wohl auch nicht zum Torschuss. 

Das ist besonders wichtig, wenn der Gegner auch Powerfußball spielt.  Spielt der Gegner gegenwärtigen Fußball, wird er, wie Sie wöchentlich im TV sehen können, aus 30 Metern so leicht kein Tor erzielen, auch wenn kein Abwehrspieler da ist, denn schießen können wenige, was die mageren Ergebnisse bezeugen.

Ecken

Bei Ecken, die gegenwärtige Gegner hoch in den Strafraum schlagen werden, stehen die eigenen Spieler immer in gleicher Formation, ohne wie wild hinter den ebenfalls wilden Angreifern hinterherzulaufen, wie es jetzt Mode ist.  Genau, was optimal ist, bestimmen die Spieler selbst.  Es könnte so aussehen:  2 Mann in den Torecken, 3 Mann vorn am 5 Meterraum, 2 Mann in den Ecken des 11 Meterraums, 2 Mann am 16 Meterraum, und 1 Mann als Joker (ein intuitiver Spieler). 

Die beiden vorderen eigenen Reihen bieten sich an, den Ball zu empfangen, indem sie sich Re-Dispositionieren, also freilaufen.  Sie stellen die vordere Angriffskette, wenn der Ball vom Torwart oder von den Mitspielern abgefangen ist.  Sobald die eigene Mannschaft in Ballbesitz ist, laufen diese fünf Spieler blitzschnell nach vorn (ohne im Abseits zu stehen).  Steilpässe sind die Norm.  Sie kommen von hinten und werden perfekt in den Lauf des Angreifers geschossen.

Strafstöße

Im Powerfußball sind Strafstöße entweder Pässe, wenn sie weit vom gegnerischen Tor entfernt gegeben werden, oder Torschüsse.  Dann formt die Verteidigung eine Mauer und der Schütze versucht, den Ball über die Mauer ins Toreck zu heben (oder, mitunter, wenn der Gegner für sein Hochspringen bekannt ist, flach unter die Mauer zu schießen).

Im Powerfußball ist es nicht anders.  Strafstöße im Mittelfeld werden blitzschnell ausgeführt, damit der Gegner sich nicht organisieren kann.  Sie sind also nur ein Pass.  Strafstöße in Tornähe werden wie Torschüsse behandelt.  Nur haben Powerfußballer diese Schüsse einige Hundert Tausend Mal geübt.  Daher wird jeder zweite Strafstoß ins Tor gehen.

Hohe Flanken

Gegen hohe Flanken in den 16-Meterraum wird ähnlich verteidigt, wie bei Eckbällen.  Nur verlagert sich die Abwehrformation noch vorn, nicht seitwärts.  Sprungkraft wird im Einzeltraining perfektioniert.  Der Ball wird mit der Stirn runtergedrückt, so dass er auf dem Fuß eines Mitspielers landet, der ihn dann sofort in einen Steilpass verwandelt, bevor der Gegner Zeit hat seine Abwehr aufzubauen.  So können gute Torschussmöglichkeiten entstehen.

Die Macht der Powertaktik

Sie können sich vorstellen, dass die organische Powertaktik, da sie jeden Tag für eine Stunde im Seminarraum geübt wird, unendlich viele Wege gehen kann.  Taktik ist reine Kopfsache.  250 Stunden im Jahr ergeben über 1.000 Stunden im Lehr- und Meisterprogramm.  Da ergeben sich viele Varianten, die mit der Zeit verschmelzen und „zweite Natur“ werden.  Nach fünf Jahren Training, spielt die Mannschaft mit einem Gehirn.  So entsteht perfekter Spielfluss.  So wird Fußball zur Performance.  Zuschauer werden der Schönheit des Spiels wegen in Stadion kommen.  Fußball wird ähnlich wie Ballett sein, ein scheinbar wildes Hin und Her, dass jedoch bestens orchestriert ist.

Damit der Powerfußball reifen kann und angehend effektiver werden kann (von Woche zu Woche muss sich das Spiel sichtbar verbessern!), muss die Mannschaft zusammenbleiben, für die ganze Fußballkarriere.  Nur so können 22 (Kader) Gehirne zu einem zusammenschmelzen.  Nur so kann perfekter Spielfluss entstehen.  Kommt auch nur ein neuer Spieler dazu, hört das Team auf zu existieren.  Ein Neuanfang ist dann gefragt.  Die Dynamik, der Tonfall, die Einstellung wird eine andere sein.  Das alte Team ist nicht wiederherzustellen.

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